Wir befinden uns in einem Epochenwechsel
von Martin Egli, blog.carpathia.ch
Bisher unklar war: Wird sich dieser Trend halten? Werden Konsument*innen alte Gewohnheiten überdenken und ihr Einkaufsverhalten dauerhaft ändern? Ein klares «ja» geht aus dem neusten Commerce Report Schweiz hervor. Laut Studienergebnissen wird sogar von einem Epochenwechsel im Handel gesprochen.
Von Parallelwelten zur vernetzten Angebotswelt
Auf den ersten Blick könnte man meinen, die COVID-19-Pandemie hätte dem bereits seit Jahren gewohnten Wachstum des E-Commerce lediglich einen einmaligen Schub verliehen. Eine genauere Betrachtung lässt aber erkennen, dass das Jahr 2020 einen Epochenwechsel einläutet.
Jahrzehntelang war der Konsumgüterhandel durch den stationären Handel geprägt. Die Jahrhundertwende markiert einen ersten Tipping Point (vgl. nachfolgende Abbildung): Onlineanbieter begannen, sich mit neuen Arbeitsweisen und innovativen Konzepten rund um Onlineshops und digitale Plattformen zu etablieren; sie forderten den traditionellen Handel heraus.
Es bildeten sich zwei Parallelwelten, zwischen denen die Kund*innen smart zu wechseln wussten. Für Anbieter bedeutet das einen Kontrollverlust und steigende Aufwände, um Kund*innen zu gewinnen und zu halten. Stationäre Anbieter versuchen mit Omnichannel-Konzepten dagegenzuhalten, Onlineanbieter mit der Einbindung stationärer Touchpoints.
Aus Kosten- und Kompetenzgründen kommen sie dabei an Grenzen. Mehr Spezialisierung und Zusammenarbeit sind die Alternative. Während Onlineanbieter damit vertraut sind, in Netzwerken zu arbeiten – selbst mit Wettbewerbern –, sperrten sich traditionelle Anbieter lange dagegen.
Spätestens mit der Corona-Krise, dem zweiten Tipping Point, brach der Damm: Die beschleunigte Verschiebung zum E-Commerce zwingt stationäre Anbieter, ihre Angebote in die Onlinewelt einzubringen. In Multikanalunternehmen geschieht das zunächst intern und beginnt damit, die Organisationssilos aufzubrechen und die Anschlussfähigkeit herzustellen. Aus den gewonnenen Verbindungen entsteht eine neue, anbieter- und kanalübergreifend vernetzte Angebotswelt.
Ihr Kennzeichen ist, dass Anbieter Leistungen erbringen können, die sie teilweise aus externen Quellen beiziehen. Umgekehrt können sie ihre eigenen Ressourcen in Angeboten externer Anbieter monetarisieren. Für Konsument*innen wird das flexibel zugängliche Marktangebot noch breiter und attraktiver. Zu den veränderten Einkaufsgewohnheiten hat Studienleiter Prof. Ralf Wölfle eine klare Meinung:
Die über viele Jahre eingeübten Einkaufsgewohnheiten sind aufgebrochen: Konsumenten schätzen heute die Freiheit, situativ entscheiden zu können, ob sie ihre Einkäufe selbst machen oder sich Produkte liefern lassen wollen.
Mindset und Arbeitsweisen sind entscheidend
In der vernetzten Angebotswelt sind das Mindset und die Arbeitsweisen digital erprobter Unternehmen besonders gefragt. Anders als traditionelle Anbieter sind sie mit instabilen Marktverhältnissen vertraut. Die Konsequenz: Eine Offenheit für Veränderungen und stetige Suche nach Innovation. Ihre Strategie hinterfragen diese Unternehmen laufend.
Darüber hinaus hilft ihnen die hohe Bereitschaft, sich mit externen Partnern und Wettbewerbern auszutauschen und Neues einfach auszuprobieren. Kennzahlen- und Faktenorientiert fällen sie Entscheidungen schnell. Ihre Mitarbeitenden sind es gewohnt, dass sich die Organisation ständig ändert und wissen, dass sie Lösungen für ihre Aufgaben oft selbst finden müssen. Aus diesen Gründen entwickelt sich die vernetzte Angebotswelt nach den Paradigmen der Onlineanbietern.
Wer als stationärer Händler jetzt nicht digital mitzieht, an dem zieht die vernetzte Angebotswelt vorbei.
fasst Studienleiter Prof. Ralf Wölfle seine Umfrage zusammen.
Onlinemarktplätze, Hersteller-Direktvertrieb und Social Media weiter im Aufwind
Die Studienteilnehmer*innen sehen auch klare Trends hin zu Onlinemarktplätzen, Hersteller-Direktvertrieb und Social Media. So sehen die Befragten die Veränderung bis zum Jahr 2030:
In den kommenden Jahren sehen die Studienteilnehmer*innen Onlinemarktplätze auf der Gewinnerseite. Drei Viertel der Befragten erwarten, dass sie weitere Marktanteile gewinnen werden.
Top-Marken setzen künftig weiter auf den Direktvertrieb, vor allem Händler und Marken müssen ihre Zusammenarbeit neu ausloten.
Auch Social Media wird seine Rolle im E-Commerce verändern: Ein relevanter Teil von Onlinebestellungen könnte in Zukunft von Sozialen Netzwerken oder Influencer-Blogs ausgehen.

