12.08.2022

Handel in der Innenstadt 2040

Ein Auszug aus dem Retail Report 2023 von Theresa Schleicher.

Versetzen wir uns in die Zukunft, ins Jahr 2040: Ein nachhaltiges Stadt- und Handelskonzept wird immer selbstverständlicher und beeinflusst auch unser persönliches Verhältnis zur Stadt, zu unseren Nachbarn und unserem Wohnumfeld. Wir leben mehr und mehr in sogenannten 15MinutenStädten und -Bezirken. Pioniere wie Paris, Stuttgart, Helsinki oder Hamburg haben es vorgemacht und sich über die vergangenen Jahrzehnte bereits zu emissionsarmen und nachhaltigen Städten entwickelt. In diesen 15-Minuten-Städten sind 2040 tatsächlich fast alle notwendigen Wege so kurz, dass sie innerhalb von 15 Minuten mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden: Supermärkte, Ärzte, Naherholungsflächen und öffentliche Verkehrsmittel.

Eine notwendige Voraussetzung hierfür war eine konsequente Segmentierung und Dezentralisierung des urbanen Raums. Das Fahren mit Verbrennermotoren gehört einer anderen Zeit an und ist eine Seltenheit geworden, genauso wie die überdimensionierten und energieverbrauchenden Erlebniscenter und Showrooms. Im Jahr 2040 kommt es uns verschwenderisch und maßlos vor, wie viel Raum früher für einige, wenige Produkt-Inszenierungen eingeplant wurde. Wir sind autonom unterwegs, das eigene Auto ist kein Statussymbol mehr. Unser Arbeitstag findet sowohl zuhause als auch in gemeinsamen Working Hubs statt.

Im Jahr 2040 ist ein globales Mindset normal geworden. Das Lokale und das Globale wird zusammengedacht. Technologie wird intelligent und im Sinne einer nachhaltigen Lebensqualität eingesetzt, an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht auf den Prinzipien der reinen Profitmaximierung ausgerichtet. Vorreiter gab es 2022 nicht nur in Form von Aktivistinnen, sondern auch in der Wirtschaft, wie das Young Global Leaders Forum und viele ähnliche Vereinigungen und Netzwerke.

Sie waren der Anfang einer neuen Generation von Entrepreneurinnen und Entrepreneuren, die nicht auf die Lösungen großer Unternehmen und der Politik warteten, sondern selbst zu Erfinderinnen und Herstellern wurden und ihre Marken und Unternehmen verstärkt nutzen, um globale Lösungen zu generieren. Die Gesellschaft im Jahr 2040 denkt global und handelt lokal. Sie agiert in ihrem Umfeld und aus ihrem Umfeld.

Für den Handel in solchen Städten der Zukunft und im Kontext dieses sich nachhaltig verändernden Mindsets sind 4 Faktoren des Wandels entscheidend:

1. Bewusste und intelligente Flächennutzung

In der Innenstadt der Zukunft werden Technologien immer im Sinne der Nachhaltigkeit genutzt. Bei all den Möglichkeiten, die die Technologie bietet, ist es für die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt selbstverständlich, intelligent und nachhaltig zu konsumieren. Dabei entsteht eine gezielte Nutzung der stationären und real-digitalen Handelsformate – von der Grundversorgung auf Kleinstflächen über das Erlebnisshopping an zentralen Knotenpunkten bis hin zur schnellen Lieferung oder Abholung von Produkten. Damit einher geht die intelligente Aussteuerung von Angeboten und Produkten der Händler auf Basis lokaler Bedürfnisse, um schneller und nachhaltiger agieren zu können.

2. Konsolidierte Logistik-und Servicestrukturen

Die Menschen mussten schmerzvoll lernen, dass die schnelle individuelle Lieferung sowohl die Sicherheit auf den Straßen gefährdet, als auch wenig nachhaltig ist. Logistik braucht nachhaltige Alternativen und progressive Strukturen: Gemeinsame lokale Logistik-Hubs, die mehreren Händlern und Produzierenden die Auslieferung ermöglichen, gebündelte Mobilitätsdienstleister, die Läden vor Ort zusammenbringen, um die Online-Bestellung der Konsumentinnen abzuholen, oder die Rückkehr smarter Click & Collect-Stationen, die Verfügbarkeit wesentlich nachhaltiger gestalten können. Auch Produktionsstätten am Stadtrand und eine generelle Dezentralisierung und Re-Regionalisierung der Produktion sorgen für eine neue Versorgung und kürzere Lieferwege.

3. Verdörflichung der Stadt

Im Zuge der starken, oft vertikalen Verdichtung des urbanen Raums entstehen auch Freiräume für Natur und Gemeinschaft in der Stadt. Besonders große Plätze in der Innenstadt werden zu zentralen Ausflugsorten „in die Natur“ und zu gemeinschaftlichen Treffpunkten, die außerdem Konsum-Vielfalt an einem zentralen Ort ermöglichen. In neuen Gemeinschaftsquartieren, die eine Grundstruktur für Metropolen und Innenstädte liefern, werden lokale und regionale Anbieter für den jeweiligen Bezirk gefördert und digitalisiert.

4. Physische Orte werden zu lebendigen Plattformen

Transparent, serviceorientiert, breit im Angebot und flexibel auf den Kunden einstellbar – was man 2020 eher von großen Online-Plattformen kennt, überträgt sich bis 2040 auf große Plätze und physische Orte in den Innenstädten. In der Cloud wird die Location „kontaktierbar“, Echtzeitinformationen werden abgerufen und Dienstleistungen, wie etwa Lieferdienste, schaffen einen neuen Bezugspunkt für die Einwohnerinnen und Einwohner. Gleichzeitig lässt sich der Raum vor Ort neu gestalten: Grünzonen, Logistik-Flächen, Kultur- und Erlebniszentren finden hier neben Wohnflächen wieder mehr Freiraum. Mithilfe datenbasierter Technologien wissen Händler und Dienstleister, wo sich die Menschen aufhalten und was sie konsumieren, während die Kunden selbst an der Ausgestaltung des Angebots in Bezug auf ihre Wünsche und Präferenzen teilhaben können.